Pressemitteilung

UNICEF: 600.000 Kinder in Rafah können nirgendwo hin, wo sie sicher sind

New York/Köln

Hunderttausende Kinder in Rafah sind verletzt, krank, mangelernährt, traumatisiert oder leben mit einer Behinderung. Sie dürfen nicht zwangsweise umgesiedelt werden, warnt UNICEF. Die für Kinder lebenswichtige Infrastruktur muss geschützt werden.

Gaza: Ein Mädchen steht mit einer leeren Wasserflasche in der Hand in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens.

Ein Mädchen steht mit einer leeren Wasserflasche in der Hand in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens.

© UNICEF/UNI521729

Angesichts der sich zuspitzenden humanitären Krise im Gazastreifen hätte ein Militäreinsatz und eine Bodenoffensive in Rafah laut UNICEF katastrophale Folgen für die 600.000 Kinder, die dort Zuflucht gesucht haben.

Nachdem im Oktober die Evakuierung in den Süden angeordnet wurde, leben heute schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen in Rafah. Vorher lebten dort rund 250.000 Menschen. Damit ist Rafah (20.000 Menschen pro km2) fast doppelt so dicht besiedelt wie New York City (11.300 Menschen pro km2). Rund die Hälfte der Bevölkerung in Rafah sind Kinder. Viele von ihnen wurden bereits mehrfach vertrieben und leben in Zelten oder anderen Behelfsunterkünften.

Angesichts der hohen Zahl von Kindern in Rafah sowie der möglichen Eskalation der Gewalt, warnt UNICEF vor einer weiteren Katastrophe für Kinder. Viele Kinder in Rafah sind besonders schutzbedürftig und kämpfen bereits täglich um ihr Überleben. Die Evakuierungskorridore sind möglicherweise vermint oder mit nicht explodierten Sprengkörpern übersät. Unterkünfte und grundlegende Dienste für Kinder in Gebieten, die für eine Umsiedlung in Frage kommen, sind höchstwahrscheinlich begrenzt. Ein Militäreinsatz könnte zu sehr hohen zivilen Verlusten führen. Die wenigen verbleibenden grundlegenden Dienste sowie die lebenswichtige Infrastruktur für Kinder drohen völlig zerstört zu werden.

„Mehr als 200 Tage Krieg belasten das Leben der Kinder in unvorstellbarer Weise“, sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell. „Rafah ist aktuell eine Stadt der Kinder, die nirgendwo in Gaza sicher sind. Wenn groß angelegte Militäroperationen beginnen, werden die Kinder nicht nur durch die Gewalt, sondern auch durch Chaos und Panik gefährdet sein, und das zu einem Zeitpunkt, an dem sie bereits körperlich und psychisch geschwächt sind.“

Im Vergleich zu Erwachsenen sind Kinder von den verheerenden Auswirkungen des Krieges im Gazastreifen besonders betroffen. Sie werden überproportional oft getötet und verletzt und leiden noch stärker unter fehlender Gesundheitsversorgung und Bildung sowie fehlendem Zugang zu ausreichender Nahrung und Wasser. Nach jüngsten Schätzungen des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden in diesem Konflikt bereits mehr als 14.000 Kinder getötet.

Schätzungen zufolge leben Hunderttausende von Kindern in Rafah mit einer Behinderung, sind erkrankt oder aus anderen Gründen besonders vulnerabel. Durch die möglicherweise bevorstehende Militäroperation in der Stadt würden sie noch stärker gefährdet:

  • Schätzungsweise 65.000 Kinder leiden unter einer Behinderung, einschließlich Einschränkungen beim Sehen, Hören, Gehen, Verstehen und Lernen;
  • Etwa 78.000 Kinder sind unter zwei Jahre alt;
  • Rund 8.000 Kinder unter zwei Jahren sind akut mangelernährt;
  • Rund 175.000 Kinder unter fünf Jahren – oder neun von zehn Kindern – leiden an einer oder mehreren Infektionskrankheiten;
  • Fast alle Kinder benötigen psychische und psychosoziale Unterstützung;

Darunter sind Kinder, die von mehreren Vulnerabilitäten gleichzeitig betroffen sind, d.h. ein Kind kann sowohl verletzt als auch krank oder mangelernährt und ein Säugling sein.

„Hunderttausende von Kindern, die jetzt in Rafah eingepfercht sind, sind verletzt, krank, mangelernährt, traumatisiert oder leben mit einer Behinderung“, sagte Russell. „Viele von ihnen wurden bereits mehrfach vertrieben und haben ihr Zuhause, ihre Eltern und Angehörigen verloren. Sie müssen geschützt werden. Ebenso müssen die verbleibenden Dienste geschützt werden, auf die sie angewiesen sind, einschließlich medizinischer Einrichtungen und Unterkünfte.“

UNICEF bekräftigt die Aufforderung des Interagency Standing Committee an Israel, „seiner rechtlichen Verpflichtung gemäß dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten nachzukommen, Nahrungsmittel und medizinische Hilfsgüter bereitzustellen und Hilfsmaßnahmen zu erleichtern, und an die führenden Politiker der Welt, eine noch schlimmere Katastrophe zu verhindern“.

UNICEF weist auf die besondere Gefährdung von Kindern hin und fordert:

  • einen sofortigen und dauerhaften humanitären Waffenstillstand. Die sofortige Freilassung aller Geiseln und die Beendigung aller schweren Kinderrechtsverletzungen;
  • den Schutz der Zivilbevölkerung und der grundlegenden Infrastruktur, auf die sie angewiesen sind, wie Krankenhäuser und Unterkünfte, vor Angriffen und militärischer Nutzung;
  • den langfristigen Schutz von Kindern und ihren Familien, wenn sie nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, einem Evakuierungsbefehl zu folgen und umzuziehen – Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich frei in sicherere Gebiete zu bewegen, aber sie sollten niemals dazu gezwungen werden;
  • sicheren und verlässlichen Zugang für humanitäre Organisationen und Mitarbeitende, um Kinder und ihre Familien mit lebensrettender Hilfe zu erreichen, wo immer sie sich im Gazastreifen befinden.

Service für die Redaktionen

Die Daten zur Zahl der Kinder mit Behinderung basiert auf den Ergebnissen des palästinensischen Multiple Indicator Cluster Survey (MICS) 2019-2020. Dies ist die letzte verfügbare MICS-Erhebung für den Gazastreifen und spiegelt keine Änderungen dieses Indikators wider, die seither eingetreten sein könnten; dennoch stellt er eine gültige Untergrenze für die Inzidenz von Kindern mit Behinderungen dar.

Christine Kahmann

Christine KahmannSprecherin - Nothilfe

030-275807919presse@unicef.de